… habe ich meinen Camino für dieses Frühjahr gedanklich schon lange abgehakt.
Die rasante Entwicklung der letzten Tage war erschreckend. Jetzt ist es aber erst einmal wichtig, dass Covid-19 eingedämmt wird.
Trotzdem habe ich auch mit Wehmut verfolgt, wie schnell sich der Virus in Portugal und Spanien ausgebreitet hat. Jedoch steht unsere aller Gesundheit an oberster Stelle.
Der Weg läuft mir nicht davon. Vielleicht kann ich es dieses Jahr im Herbst noch ermöglichen, mir meinen Traum vom portugiesischen Jakobsweg zu erfüllen… wir werden sehen.
Als ich am 04.05.19 in Alpirsbach los laufe ist das Wetter recht unbeständig. Am Morgen hat es geregnet, aber als gegen Mittag der Himmel aufreißt, möchte ich doch noch los und meine zweite Etappe auf dem Jakobsweg durch den Schwarzwald laufen. Gegen 13 Uhr starte ich direkt in Alpirsbach am Kloster.
Gleich zu Beginn überquere ich die Muggelbruck (eine gewölbte Steinbrücke, die bereits 1778 erbaut wurde) und muss irgendwie spontan an Harry Potter denken… 😊
Es geht am Friedhof vorbei und der Weg steigt den Berg an.
Von oben hat man eine sehr schöne Aussicht auf Alpirsbach, das sich das Tal
entlang zieht.
Zum Stadtteil Alpirsbach-Rötenbach geht es wieder hinunter – zur viel befahrenen Bundesstraße. Parallel zur Bahnlinie erreiche ich endlich wieder einen schönen Schotterweg und laufe in den Wald. Außer mir „Verrückten“ scheint heute, bei diesem unbeständigen Wetter, niemand unterwegs zu sein.
Im kleinen Weiler Reilinsberg komme ich an die historische Grenze zwischen dem Königreich Württemberg und dem Großherzogtum Baden. Der Grenzpfahl ist richtig schön gestaltet… und eine echte Jakobsmuschel ist auch gut sichtbar angebracht. Die Wolken haben sich gegen mich verschworen und ziehen schon wieder zu. Macht nix… ich bin gut ausgerüstet und so ein bisschen Regen schadet nicht. Denke ich…
Es geht wieder in den Wald. Dort kommt mir eine Gruppe von
circa 10 Männern mitten im Wald entgegen. Jeder mit einer Bierflasche in der
Hand. Was machen die hier?? Kurz wird es mir etwas mulmig. Aber nachdem sie
mich freundlich grüßen und schnurstracks an mir vorbeilaufen, verfliegt dieses
Gefühl. Trotzdem gucke ich mich nochmals kurz um.
Kurz bevor ich in Schenkenzell ankomme fängt es an zu regnen. Na toll. Ok, Regenklamotten raus. Ich werde trotzdem pitschnass…
In Schenkenzell besuche ich die Kirche St. Ulrich. Ich gebe die Hoffnung nicht auf – es hört bestimmt bald wieder auf zu regnen. Auf dem Friedhof, der direkt um die Kirche herum liegt, gibt es eine öffentliche Toilette mit einem Mini-Heizstrahler. Ich trockne mir meine Hose so gut es geht.
Es gießt zwischenzeitlich wie aus Eimern und ich bin kurz davor aufzugeben. Soll ich zum Bahnhof? Das wäre aber echt schade. Wegen dem „bisschen“ Regen… Wenn es auf meinem Jakobsweg in Portugal regnen sollte, kann ich auch nicht einfach abbrechen und wann anders weitermachen. Also: Zähne zusammenbeißen.
In Schenkenzell biegt der „Kinzigtäler Jakobusweg“ Richtung Wittichen ab. Aber ich möchte ja auf dem Jakobsweg zur Burgundischen Pforte bleiben und laufe weiter in Richtung Freiburg. Den Bahnhof beachte ich nur kurz, um nicht der Versuchung nachzugeben und mich doch noch in einen Zug zu setzen. Mistwetter!
Es geht aus Schenkenzell hinaus und leicht den Berg hoch Richtung Schenkenburg. Auf halber Höhe geht der Regen in Schnee über. Hallo? Es ist Anfang Mai!!
Als ich in Schiltach ankomme, liegt tatsächlich eine dünne Schicht Schnee auf den Autos. Ich bin wieder ziemlich nass geworden und steuere zielstrebig ein Café an.
Zum Glück gibt es auf der Toilette des Cafés einen großen Heizkörper, den ich liebevoll minutenlang umarme. Danach ist meine Hose wieder annähernd trocken und ich selbst nicht mehr ganz so durchgefroren.
Schiltach ist ein sehr schönes Städtchen. Ich bin heute nicht zum ersten und bestimmt auch nicht zum letzten Mal hier. Mir gefallen die schönen Fachwerkhäuser sehr. Nachdem ich also meinen Cappuccino getrunken, den Kuchen gegessen und Freundschaft mit einem Heizkörper geschlossen habe, geht es wieder raus aus dem Städtchen. Mein Tagesziel Wolfach ist noch ca. 10 km entfernt.
Ich komme an ein paar schönen Höfen vorbei und laufe immer wieder direkt an der Kinzig entlang, die hier schon ziemlich an Breite gewonnen hat.
Als ich wieder im Wald bin fängt es tatsächlich an zu graupeln. Das gibt es doch nicht. Was ist denn heute los? Eine kurze Pause an einem Holzstapel breche ich dann auch ziemlich schnell ab, da sich der Graupelschauer zu einem ausgewachsenen Gewitter wandelt. Langsam reicht es mir. Hätte ich doch in Schenkenzell abbrechen sollen? Nein! Undenkbar.
In Halbmeil finde ich direkt am Weg tatsächlich wieder eine
öffentliche Toilette, die sich hier im Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr
befindet und schließe dort eine neue „Heizungs-Freundschaft“.
Aus Halbmeil raus ist der Weg nicht so toll – nur Asphalt. Die Landschaft ist jedoch schön.
Aber es geht bald wieder in den Wald. Dann wird der Weg schmäler, es wird ruhiger… und steiler. Viel steiler. Sehr viel steiler. Und matschig.
Bald schnaufe ich wie eine Dampflok – aber es lohnt sich. Ich erhalte meine Belohnung für diese Bemühungen in Form eines grandiosen Blicks auf die sehr idyllisch gelegene St. Jakob-Kapelle. Kurze Zeit später stehe ich jedoch vor verschlossener Tür, da sie heute leider nicht geöffnet hat. Sehr schade.
Hinter der Kapelle verzweigt sich der Jakobsweg. Ein Weg
führt oberhalb von Wolfach entlang, der andere durch Wolfach durch. Hinter dem
Städtchen vereinen sich die beiden Wege wieder.
Da mich mein höchstpersönlicher „Jakobsweg-Taxi-Service“ in Wolfach abholt, nehme ich natürlich den Weg hinunter nach Wolfach. Als ich aus dem Wald herauskomme, kann ich mein „Taxi“ schon erkennen.
Heute bin ich wirklich stolz auf mich. Ich habe meinen inneren Schweinehund überwunden und den Weg nicht abgebrochen, trotz des wirklich miesen Wetters. Und den Platz auf dem Sofa habe ich mir jetzt tatsächlich auch mehr als verdient.
Ich starte auf dem „Jakobsweg zur Burgundischen Pforte“ am 24.03.2019 in Loßburg. Dort beginnt auch die Variante des „Kinzigtäler Jakobuswegs“ an einem Gedenkstein.
Nachdem ich das Auto geparkt und mich im Ort kurz orientiert habe, geht es erst einmal in den Gasthof „Hirsch“. Ich möchte mir, für mein eigens dafür zugelegtem kleinen blauen Buch, meinen allerersten Pilgerstempel abholen. Ich bin ganz aufgeregt, als ich den „Hirsch“ betrete und an der Rezeption nach einem Stempel frage. Die nette Dame ist nicht weniger begeistert. Es kommen wohl nicht allzu oft Pilger vorbei. Sie muss erst einmal testen, wie sie den Stempel halten muss, damit sie ihn mir auch richtig herum in mein Büchlein drückt. Wir bestaunen beide das Resultat. Jetzt kann es also losgehen!
Die Strecke aus Loßburg hinaus ist wunderschön. Am Freibad vorbei, über eine kleine Brücke kommt man in den Wald und geht dort entlang der jungen Kinzig.
Die Kinzig ist insgesamt etwa 112 km lang und mündet bei Kehl in den Rhein. Der Jakobsweg ist hier deckungsgleich mit dem „Flößerpfad“ und am Wegrand stehen immer wieder sehr informative Tafeln zu diesem Thema. Auch kann man ein nachgebautes Holzfloß besichtigen.
Nachdem ich wieder aus dem Wald herauskomme und die Kinzig überquere, finde ich ein schönes kleines Plätzchen zum Rasten. Ein Wassertretbecken und ein schöner Holzbrunnen laden im Sommer zu einer kleinen Erfrischung ein. Doch für mich ist es im März leider noch zu kalt, um mit den bloßen Füßen in das Tretbecken zu steigen. Na gut… vielleicht komme ich ja irgendwann noch einmal vorbei, wenn es warm genug dafür ist.
Weiter geht`s. Vorbei am Ort Ehlenbogen, der ziemlich langgetreckt im engen Kinzigtal liegt. Ich bin in einem sehr hübschen Tal und immer wieder kommt man an einzelnen Bauernhöfen vorbei. Fundamentreste einer ehemaligen Mühle sind zu sehen.
Der prächtige Metzgersbauernhof
Ich komme wieder in den Wald und überlege kurz, ob ich in der Vesperstube „Vogtsmichelhof“ einkehren soll. Aber es zieht mich weiter. So lasse ich auch den Gasthof „Untere Mühle“ im wahrsten Sinne des Wortes links liegen und marschiere nur daran vorbei.
Als ich am Campingplatz vorbeikomme, weiß ich, dass es nicht mehr weit sein kann bis Alpirsbach. Am Ortseingang muss ich erst einige Meter direkt an der Straße laufen. Das ist nicht so schön. Ich halte Ausschau, ob ich das Kloster schon sehen kann. Aber da muss ich mich noch etwas gedulden. Erst noch durch eine Bahnunterführung und …tada!! Eine schöne Allee und ein angelegter Kurgarten mit Brunnen, dahinter das Kloster. Ein toller Anblick.
Kloster Alpirsbach
Etwas schüchtern gehe ich zum Eingang des Klosters. Hier kommen wohl mehr Pilger vorbei. Der Stempel ist sogleich in meinem kleinen blauen Buch verewigt.
Eine Besichtigung des Klosters ist für mich selbstverständlich.
Das ehemalige Benediktinerkloster ist über 900 Jahre alt. Es ist aus rotem
Sandstein gebaut. Der Kreuzgang ist sehr schön, die Kirche imposant und ein
Blick ins Museum lohnt sich um ein paar Informationen zu bekommen.
Der Kreuzgang
Mein ganz persönlicher Abholservice wartet dann zwischenzeitlich auch schon im Café auf mich und wir gönnen uns noch ein etwas anderes „Pilgermenü“. 🙂
Nur noch 99 Tage bis zu meinem Flug nach Porto. Ich freue mich immer noch riesig auf mein Pilgerabenteuer.
Aber noch macht mein operierter Fuß nicht so mit, wie ich es mir erhofft hatte. Ich habe meinen Spezial-Schuh erst diese Woche ausziehen können. Mein Gang ist immer noch etwas „humpelig“ und macht mir noch ein bisschen Sorge. Ab morgen bin ich zur Re-Mobilisierung bei der Physiotherapie angemeldet. Mal schauen, was das bringt.
Trotzdem bleibe ich optimistisch. Mein Fuß hat noch 99 Tage Zeit auszuheilen und ich hoffe, dass ich bis Ende April noch die eine oder andere Strecke laufen kann. Vor kurzem habe ich in meiner Wander-App schon wieder Routen angeschaut und geplant, bis mir dann auf einmal eingefallen ist, dass ich ja zum aktuellen Zeitpunkt immer noch den Spezial-Schuh an hatte.
In den nächsten Tagen werde ich über meine Etappen auf den süddeutschen Jakobswegen berichten. Die Strecken, die ich bisher gelaufen bin, waren sehr schön und gut zu meistern. Außerdem gibt es auch noch sehr viele wunderschöne Strecken abseits des Jakobswegs. 😉
Ich würde mich
nicht als besonders religiösen Menschen bezeichnen. Warum möchte ich dann
überhaupt den Jakobsweg gehen?
An der Jakobsweg-Gabelung in Endersbach
Bei mir hat die Faszination „Jakobsweg“ damit angefangen, dass ich über den ansässigen Zeitungsverlag auf eine junge Frau aufmerksam geworden bin, die nach ihrem Abitur den spanischen Küstenweg „Camino del Norte“ gelaufen ist. Sie hat täglich ein Video auf YouTube eingestellt und ich habe diesen Berichten jeden Tag entgegengefiebert.
Vom Buch von Hape
Kerkeling hatte ich schon viel früher gehört. Aber erst nach den Berichten der
Abiturientin habe ich mich auch tatsächlich dafür interessiert. Das Hörbuch
dazu, das Kerkeling selbst liest, ist eine tolle Ergänzung dazu.
Schon hatte mich das Fieber gepackt und die Faszination war da.
Mit meinen Eltern und meinem Bruder war ich als Kind schon (fast) jedes Jahr in den bayerischen Alpen zum Wandern im Urlaub. Wir haben es immer sehr genossen. Die Liebe zum Wandern war also schon lange da.
Warum aber ausgerechnet der Jakobsweg?
Schild bei Wolfach
Ich bin eher auf einer spirituellen Suche. Auf der Suche nach mir selbst. Wer mich gut kennt, weiß, dass ich schon einige Schicksalsschläge hinter mir habe. Ich denke, dass ich diesen Weg gewählt habe, um Zeit und Kraft zu haben, einiges aus meinem Leben zu verarbeiten, was bisher noch nicht ganz verarbeitet werden konnte. Auf dem Jakobsweg lebt man sehr minimalistisch. Der Tagesablauf sieht immer gleich aus: aufstehen, laufen, ankommen, essen, Wäsche waschen, schlafen. Dieser minimalistische Tagesablauf und Lebensstil hat sehr viel Potenzial sich mit sich selbst zu beschäftigen.
Die amerikanische
Schauspielerin Shirley MacLaine beschreibt es so: „Der Jakobsweg ist eine Reise
der Seele.“
Pilgerstein am Jakobsweg in Schenkenzell
Ich hoffe, dass ich
vom Alltag abschalten und in der ganz besonderen Atmosphäre auf dem
Jakobsweg auch zur Ruhe kommen kann. Der portugiesische Camino ist zwar der
zweitbeliebteste Weg, jedoch lange noch nicht so überlaufen wie der bekannteste
Jakobsweg der von St.-Jean-Pied-de-Port an der spanisch-französischen Grenze
startet (Camino Francés).
Ein bisschen Abenteuerlust schwingt auch mit: knapp 300 km in mehr oder weniger fremden Ländern, mit fremder Sprache (ok, ein kleines bisschen Portugiesisch kann ich noch aus VHS-Tagen und einige Brocken Spanisch versuche ich mir gerade selbst beizubringen), jeden Tag eine Unterkunft suchen, eine unbekannte Route, Begegnungen mit fremden Menschen, körperlich an Grenzen kommen, Zeit in der Natur verbringen, einen unbekannten Weg beschreiten, nur mit dem nötigsten Gepäck im Rucksack … und das Ziel vor Augen: die Kathedrale in Santiago de Compostela.
Man sagt, der Camino de Santiago verändert einen.
Also: Raus aus der Komfortzone, rein ins Abenteuer! Ich bin gespannt, ob und wie der Camino mich verändern wird.