Montag, 2. Mai 2022
Beim Aufwachen weiß ich sofort, warum mein Zimmer den Namen „Sonnenaufgang“ hat. Toll, so geweckt zu werden.
Ich gehe gleich runter in den Gastraum um zu frühstücken. … und siehe da, zwei bekannte Gesichter begrüßen mich freundlich. „Kräusellocke“ und „Orangenes T- Shirt“ sitzen schon an ihrem Frühstückstisch.
Nach dem Frühstück komme ich mit der Dame hinterm Tresen ins Gespräch und erfahre, dass wir drei in dieser Nacht wohl die einzigen Übernachtungsgäste waren. Schade, denn „Kräusellocke“ und „Orangenes T- Shirt“ werde ich heute wohl zum letzten Mal sehen. Die beiden laufen viel schneller als ich und ich habe meine heutige Etappe etwas gekürzt, da ich auf dem Schliffkopf übernachten und nicht bis zum „offiziellen“ Etappenende an der Zuflucht bzw. Alexanderschanze laufen werde. Dafür werde ich die paar mehr Kilometer morgen früh laufen müssen. Das wird mir noch zum Verhängnis… aber zum Glück weiß ich heute noch nichts davon.
Auf die heutige Etappe habe ich mich schon riesig gefreut. Zum Einen, weil es zur Hornisgrinde hoch geht und ich schon viel über den Berg gelesen habe und zum Anderen, weil direkt von der Hornisgrinde der Abstieg zum sagenumwobenen Mummelsee auf der „Tagesordnung“ steht.
Die Hornisgrinde ist mit 1164 m Höhe der höchste Gipfel des Nordschwarzwaldes. Ihr Bergrücken erstreckt sich in Nord-Süd-Ausrichtung und ist ca. 2 km lang.
Aber was bedeutet denn das Wort „Grinde“ überhaupt? Kahle hochmoorige Hochflächen und Bergkuppen des Nordschwarzwaldes werden als Grinden bezeichnet. Das althochdeutsche Wort „grind“ bedeutet in etwa „kahler Kopf“. Typische Pflanzen solcher Grinden sind Heidekraut, Wollgras, Borstgras, Heidelbeere und Preiselbeere und auch Latschenkiefern.
Der Weg führt mich von meiner Unterkunft weg, direkt am danebenliegenden Skilift vorbei, in den Wald hinein. Es geht ein ganzes Stück auf einem schmalen Pfad bergauf.
Auf einmal höre ich ganz leise Musik. Was? Musik? Früh morgens im Wald? Leise Bässe wummern mir entgegen. Ich denke, ich höre nicht recht. Wer ist denn so früh schon auf dem Abstieg von der Hornisgrinde? Die Musik wird lauter. Es sind französische Liedtexte, wie ich erkennen kann. Auf einmal kommt mir ein gutgelaunter Franzose entgegen. Grüßt freundlich und verschwindet wieder. Er muss wohl in einem Zelt auf der Hornisgrinde übernachtet haben. Sein Gepäck sah sehr nach Zelt und Schlafsack aus.
Ich komme an dem Wanderheim Ochsenstall vorbei. Es geht weiter im Wald berghoch und ich lande auf einer „Wanderautobahn“. Ein breiter Geröllweg liegt vor mir. Oh weh. Hoffentlich ist der bald wieder zu Ende. Solche Wege mag ich ja überhaupt nicht.
Zum Glück komme ich recht schnell wieder auf einen schmaleren Pfad und der Fernsehturm, der auf dem Bergrücken der Hornisgrinde steht, kommt in mein Sichtfeld. Ein kleines Schneefeld kann ich auch in einiger Entfernung sehen.
Oben beim Fernsehturm angekommen befinde ich mich bereits auf der Hochfläche. Es windet hier ziemlich. Keine gute Voraussetzungen für gelungene Selfies…
Der Weg führt links am Sendemast vorbei in ein kleines Wäldchen. Es geht nochmal ein kleines Stück nach oben. Dann erreiche ich den Bismarckturm – an der höchsten Erhebung auf der Hornisgrinde. Der 8m hohe Turm wurde 1840 erreichtet und bietet eine schöne Aussicht.
Vom Bismarckturm aus geht es einige Meter weiter auf dem Hochplateau zum Hornisgrindeturm. Auf dem Weg dorthin kann man schön das Hochmoor bestaunen. Dazu gibt es auch eine erklärende Schautafel.
Leider ist der Hornisgrindeturm zur Zeit wegen Corona geschlossen. Das Restaurant, das sich direkt daneben befindet, hat heute (Montag) leider Ruhetag.
Ich setze mich an einen der vielen Picknicktische und mache eine kurze Trinkpause. Die Aussicht ist toll.
Danach nehme ich den ca. 30-minütigen Abstieg Richtung Mummelsee in Angriff. Leider verpasse ich den Abzweig zum Aussichtspunkt kurz unterhalb des Hornisgrindeturms von dem aus die bekannten Bilder mit Blick auf den See und das Hotel gemacht werden. Dafür ergattere ich ein schönes Plätzchen in einem der beiden Holzhäuschen, die direkt am See stehen, mit Liege und wunderbaren Blick auf den Mummelsee.
In dem Souvenirladen, der im Untergeschoss des Hotels untergebracht ist, bin ich dann doch ganz kurz „Touristin“ und lasse mich dazu hinreißen, ein paar Kleinigkeiten zu kaufen…
Ich gehe einmal um den See herum. Will ich doch die kleine Nixe am gegenüberliegenden Seeufer ansehen. Es ranken sich sehr viele Sagen um den Mummelsee und um die in ihm wohnenden Nixen.
Da der Mummelsee direkt an der Schwarzwaldhochstrasse liegt, ist er einer der meistbesuchten Seen in Baden-Württemberg. Heute wird er zwar auch von vielen Touristen bestaunt, jedoch hält sich der Besucherandrang zum Glück in Grenzen. Trotzdem verlasse ich den See schweren Herzens nach meinem Rundgang und erreiche direkt meine nächste Stempelstelle und damit das nächste Westwegtor.
Der nächste Kilometer führt ziemlich parallel zur viel befahrenen Schwarzwaldhochstrasse hinunter zum „Seibelseckle“. Oh nein… Ich traue meinen Augen kaum… es geht den Skihang hoch. Skihang, das heißt sehr steil. Doch zum Glück muss ich nicht den kompletten Hang hoch, denn der Weg biegt nach rechts in den Wald ab.
Ich komme wieder auf einen breiten Forstweg, der mich direkt zur Darmstädter Hütte führt. Da ich schon am Mummelsee eine etwas längere Rast gemacht habe, laufe ich an der Darmstädter Hütte nur vorbei.
Vor der Darmstädter Hütte geht der Weg nach rechts in ein kleines Latschenkiefernwäldchen. Kaum in das Wäldchen eingetaucht, höre ich ihn dann zum ersten Mal ganz bewusst… Erst leise und ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich mich nicht doch verhört habe. Doch dann ertönt der Schrei etwas lauter. Und dann noch einer und noch einer. Kuckuck! Kuckuck! Begeistert bleibe ich stehen und lausche. Kuckuck! Außer mir ist nur noch ein anderer Wanderer in der Nähe. Ich genieße also mein Privatkonzert. Doch leider muss ich weiter – hab heute noch ein paar Kilometer vor mir.
Ich bin so beschwingt durch die Kuckucksrufe, dass ich meinen Weg ohne Mühe weiter laufe bis zum „Eutinggrab“. Dort ist die Urne von Professor Dr. phil. Julius Euting (deutscher Bibliothekar und Orientalist) beigesetzt.
Von dort oben hat man einen tollen Blick auf den Wildsee. Einen Abstieg zum Wildsee erspare ich mir. Der Weg hinunter soll sehr steil und anspruchsvoll sein. Und einmal unten angekommen, muss man ja auch wieder hoch, um auf den Westweg zurück zu kommen. Doch der Wildseeblick von der Grabstätte aus ist auch sehr schön.
Der weitere Weg führt mich erst über den Seekopf und dann in Serpentinen zum Ruhestein hinunter. Beim hinunter laufen denke ich noch „Hoffentlich muss ich auf der anderen Seite nicht wieder hoch…“, denn dort sieht es sehr steil aus -oben auf der Erhöhung steht eine Skisprungschanze. Doch erstmal schaue ich mich unten am Ruhestein in einem Verkaufsladen etwas um, bevor ich… oh Graus… auf der anderen Seite zur Skisprungschanze hoch laufen muss.
Durch eine herrliche Hochmoorlandschaft hindurch, gelange ich zum Gipfel des Schliffkopfs. Der Schliffkopf (1055m) bietet eine tolle Aussicht.
Bald habe ich mein Tagesziel erreicht, denn heute lasse ich es mir gut gehen. Ich habe ein Zimmer im Vier-Sterne-Hotel „Schliffkopf“ reserviert und am Abend wartet ein fünfgängiges Menü auf mich. Herrlich…
Doch als ich mich dem Hotel nähere, wird mir auf einmal bewusst, dass ich wohl doch etwas exotisch inmitten des restlichen Klientels des Hotels bin. Schon als ich ums Eck des Gebäudes laufe, werde ich von zwei älteren Damen, die auf ihrem Zimmerbalkon sitzen, sagen wir mal „näher betrachtet“. Den beiden Damen fallen fast die Augen aus dem Kopf… Ok, ich sehe mit dem großen Wanderrucksack, den Wanderstiefeln und dem sonstigen Wanderoutfit auch nicht wirklich unbedingt so aus, wie wenn ich hier her gehören würde. Aber reserviert ist reserviert.
Ich laufe zielstrebig ins Hotel und an die Rezeption. Auch der Herr an der Rezeption schaut etwas pikiert. „Können wir Ihnen irgendwie weiterhelfen?“ – „Ja, bestimmt. Ich habe hier ein Zimmer reserviert.“ – „Oh, natürlich!“ Auf einmal wird alles viel freundlicher und ich werde gefragt, wohin ich unterwegs bin. Ich erzähle, dass ich den Westweg wandere. Der jetzt doch sehr nette Herr von der Rezeption wendet sich an einen Kollegen, der etwas abseits an einem PC sitzt: „Das wäre doch auch was für dich.“ Aber der andere Kollege hat es eilig und muss los.
Hier im Hotel gibt es eine Bar und ein Schwimmbad. Nach dem Essen werde ich mich mal auf die Socken machen und alles anschauen.
Das Zimmer ist sehr groß und hat einen Balkon mit herrlichem Ausblick.
Das Abendessen ist sehr lecker und ich lasse mir meine fünf Gänge und den dazu gehörigen Wein schmecken. Als Starter gibt es eine Currycreme. Erster Gang sind Gurkenröllchen gefüllt mit Fetakäse auf Feldsalat. Danach kommt eine sehr leckere Kartoffelcremesuppe mit Croûtons, bevor es mit einem gemischten Salat weitergeht. Der nächste Gang ist eine geschmorte Kaninchenkeule in Rotweinsauce mit Broccoli und Spätzle. Zum Abschluss gibt es noch ein Vanilleeis an Schwarzwälder Beerengrütze. Wirklich sehr lecker.
Nach so viel Schlemmerei beschließe ich noch, im Schwimmbad ein paar Runden zu drehen. Anscheinend ist nach dem Essen keiner außer mir mehr in der Stimmung ins Schwimmbad zu gehen, denn ich habe das Bad ganz für mich alleine.
Nach meinem ausgiebigen Geplansche gehe ich noch in die Bar um mir einen Cocktail zu gönnen. Wenn schon, denn schon… Außer mir ist nur noch eine Gruppe von ca. sechs Leuten an einem der hinteren Tische anwesend. Ich komme mit dem ungarischen Barkeeper ins Gespräch. Er war derjenige, der vorhin an der Rezeption saß, aber leider keine Zeit für ein Gespräch hatte. Wir reden noch ein bisschen über Wanderungen im Allgemeinen und den Westweg im Speziellen. Er wollte wohl, genauso wie ich, auch mal den Jakobsweg laufen.
Ein sehr schöner und ereignisreicher Tag geht zu Ende. Morgen habe ich viele Kilometer vor mir. Der Weg zum Harkhof wird lang. Jetzt aber erst einmal… gute Nacht.